Christoph Kolumbus litt gegen Lebensende an einer starken
Form der Gicht. Dies hinderte ihn nicht, im Mai 1505 eine beschwerliche
Reise von Sevilla an den königlichen Hof zu Segovia anzutreten. Dort
bat er um eine Audienz mit Ferdinand
von Aragon – mit dem Ziel, die Privilegien seiner Familie zu sichern.
Doch dieser empfing ihn „frostig und seinem Vorhaben abgeneigt“
(Hernando Colón, Kap. 108). Kolumbus schrieb, dass der König
„nicht willens ist, das einzuhalten, was er zusammen mit der Königin
mündlich wie schriftlich versprochen hat“ (Kolumbus, Brieffragment
an Diego de Deza ). Ferdinand von Aragon hatte dem Entdecker den Vorschlag
gemacht, seine Rechte in Übersee gegen ein grosses Stück Grundbesitz
in Kastilien einzutauschen. Doch Kolumbus lehnte entschieden ab.
Der Entdecker starb im Beisein seiner engsten
Vertrauten an Auffahrt 1506 (20. Mai) in Valladolid.
In den folgenden Jahren verhinderte Ferdinand die geplante Ehe des Erbfolgers
Diego Colón mit der Tochter des Herzogs von Medina Sidonia –
der König verheiratete den Kolumbus-Erben stattdessen mit seiner eigenen
Cousine María de Toledo y Rojas aus dem Hause Alba. Diego Colón
amtierte in den Jahren 1509–1515 und 1520–1523 in Santo Domingo
als Vizekönig; nach seinem Tod 1526 reduzierte der Indienrat (Consejo
de Indias) in Sevilla die erblichen Rechte der Nachkommen Kolumbus’
auf die noch heute existierenden Titel des Herzogtums von Veragua (Panama)
und der Markgrafschaft Jamaika.
Kolumbus’ Tod, Gemälde Rodriguez Losada,
Kloster von La Rábida
Kolumbus’ Tod und Begräbnis sind beinahe so rätselhaft wie
seine Geburt und Herkunft. Zwar ist der Todestag bekannt (20. Mai 1506),
doch sein Grab ist bis heute verschwunden. Seine Schwiegertochter María
de Toledo y Rojas hatte seine Gebeine einst mit Einwilligung Karls
V. nach Santo Domingo überbringen lassen (sie vollstreckte damit
den letzten Willen ihres verstorbenen Ehemannes Diego Colón). Dort
wurden die Gebeine im Chor der Kathedrale beigesetzt – in einer vom
Kolumbus-Enkel Luís Colón ausgestatteten Familiengruft. Im
Jahre 1564 nahm der englische Freibeuter Francis
Drake die Stadt Santo Domingo ein. Er liess sich im Alcazar de Colón,
dem Palast der Familie Colón, nieder und plünderte die Kathedrale
– zwei Mönche, die dort Widerstand leisteten, wurden ermordet.
Francis Drake war mit dem Auftrag angereist, sämtliche Insignien spanischer
Macht zu konfiszieren: Gemäss einer Urkunde bezweckte Königin
Elisabeth damit, ihren Widersacher Philipp
II. zu demütigen; (Friear Keeler 1981, S. 244f.). Angesichts dieser
Umstände ist nicht auszuschliessen, dass die verschwundenen und bis
heute gesuchten Gebeine des Kolumbus damals nach England gelangten.
Im 19. Jahrhundert war es zu einer intensiven Suche nach
den sterblichen Überresten gekommen – damals noch in der Absicht,
Kolumbus zu einem Heiligen zu machen und seine Gebeine zu Reliquien (z.
B. Cocchia 1877). Doch intensive Recherchen ergaben, dass die Gebeine verschwunden
waren: Sie befanden sich weder auf Santo Domingo noch auf Kuba, und auch
nicht im spanischen Sevilla. 2006 wurde das Grab Hernando Colóns
in der Kathedrale zu Sevilla exhumiert, um aufwändige DNA-Analysen
zu machen – doch anbetrachts der Tatsache, dass Francis Drake Santo
Domingo bereits im 16. Jahrhundert besetzt hatte und spätere Recherchen
erfolglos blieben, wäre eine Spurensuche in den Beständen von
Windsor Castle angebrachter.
Elisabeth I. von England im Alter von 30 Jahren
Philipp II. von Spanien, Detail aus „la Gloria“ von Tizian
Angriff von Francis Drake auf Santo Domingo, handcolorierter Kupferstich von B. Boazio 1589
Hernando entstammte der Verbindung des Kolumbus mit der Córdobesin
Beatrice de Henríquez de Harana. Als Page des Erbprinzen Juan genoss
er am kastilischen Hof eine humanistische Erziehung und Ausbildung. Doch
der Prinz und Hoffnungsträger des neuen Imperiums starb 1497 unerwartet.
Kronbeamte Ferdinands von Aragon übernahmen die Regierungsgeschäfte
und Hernando musste den kastilischen Hof unverzüglich verlassen. Sein
Vater Christoph Kolumbus nahm den damals 14-jährigen auf seine letzte
Entdeckungsfahrt mit. Auf der entbehrungsvollen Reise (1502—1504)
wurde er zu seinem treusten Begleiter. Später verfasste Hernando Colóns
eine umfangreiche Chronik über das Leben und die Taten seines Vaters,
inklusive biographischer Hintergründe der legendären Fahrt. Doch
diese seine Aufzeichnung gelten seit jeher als zweifelhaft. Hernando attackierte
in seiner Chronik namhafte Chronisten – er wirft ihnen vor, die Wahrheit
verschwiegen oder sie zugunsten der Regierung verdreht zu haben; die Vorwürfe
richten sich nicht nur gegen die spanische, sondern ganz massiv auch gegen
die italienische Geschichtsschreibung. So widerlegte Hernando „zwölf
Lügen“ des Genueser Bischofs Giustiniani; letzterer hatte sich
in seiner Darstellung der Gebrüder Colombo auf einen internen Kommentar
des Genueser Bankiers und Stadtchronisten Antonio Gallo gestützt (siehe:
Adlige versus plebejische Abstammung). Noch heute widerstrebt es der
Geschichtsschreibung, sich mit seinen Aussagen auseinander zu setzen: Hernandos
uneheliche Geburt, angebliche Minderwertigkeitskomplexe und Verfälschungen
werden bemängelt. Neuere Untersuchungen zeigen den jüngeren Kolumbussohn
allerdings als einen humanistisch gebildeten, international bekannten Gelehrten
und Büchersammler, der in seiner Zeit höchstes Ansehen genoss.
Nach dem Tod Kolumbus’ 1506 war Hernando Colón
nach England und in die Niederlande gereist. Von hier aus durchquerte er
zweimal Mitteleuropa bis nach Italien (1520–22 und 1531). In den Zentren
des Buchdrucks nördlich und südlich der Alpen erwarb er während
der Reformationszeit eine grosse Anzahl von Büchern und errichtete
in Sevilla eine umfangreiche Bibliothek mit über 15'000 Werken. Wie
aus seinem Testament hervorgeht, war es sein grösster Wunsch gewesen,
die Sammlung nach seinem Tod allen Gelehrten der Welt öffentlich zugänglich
zu machen. Hernando setzte sich auch für seinen Neffen Don Luís
Colón ein, den ältesten Sohn seines Halbbruders Diego Colón.
Er forderte für diesen Haupterben vor Gericht die Einhaltung des Kronvertrages
von Santa Fé (1492) ein und initiierte Prozesse gegen die Krone.
Hernando forderte vor Gericht die Einhaltung des Kronvertrages
von Santa Fé 1492 ein und initiierte zahlreiche Prozesse (pleytos)
gegen die Krone. 1539 starb Hernando einen denkwürdigen Tod, denn er
kannte den Zeitpunkt seines Todes bereits 50 Tage zum Voraus (Bericht an
den 17-jährigen Luís Colón in Santo Domingo). Kurz vor
seinem Tod hatte er eine umfangreiche Chronik, seinen wahren Bericht (vera
relatione) über das Leben und die Taten seines Vaters vollendet. Gemäss
eigenen Angaben wollte er u. a. zwölf Lügen des Genueser Bischofs
Giustiniani widerlegen – letzterer hatte sich, was Hernando nicht
wissen konnte, auf den unveröffentlichten, kurzen Kommentar (commentariolum)
des Antonio Gallos gestützt (siehe: Adlige versus
plebejische Abstammung)
1539 starb Hernando einen denkwürdigen Tod: Gemäss
einem Bericht an den damals 17-jährigen Luís Colón
in Santo Domingo kannte er seinen Todestag bereits 50 Tage im Voraus.
Grabplatte
des Prinzen Juan
von Kastilien, D. Fancelli, in
der Kirche Santo Tomas, Avila
Casas de Colón, Ausschnitt Stadtansicht Sevilla, A. Brambilla, 1585
Hernando Colón, anonym, Colombina, Sevilla,
Don Luís Colón erbte von seinem Onkel Hernando
Colón die grosse Büchersammlung und die „Casas de Colón“
ausserhalb der Puerta de Goles zu Sevilla (siehe Abb. oben Casas de Colón).
Als Haupterbe des Kolumbus und zukünftiger Vizekönig war Luís
im Alcazar de Colón in Santo Domingo aufgewachsen. Seine Mutter,
Maria de Toledo aus dem Hause Alba, achtete sehr auf eine standesgemässe
Verheiratung ihrer Kinder. Ihren ältesten Sohn Luís verheiratete
sie mit einer Frau aus dem Geschlecht der Mosqueras aus Granada.
Nach dem Tod seiner Mutter verliess Luís seine Frau und reiste nach
Kastilien, wo er in Valladolid die Prozesse gegen die Krone wieder aufnehmen
wollte. Die Umstände waren allerdings keineswegs günstig. Spätestens
nach der Abdankung Karls V. (1556) war Luís kein Spielraum mehr gegeben.
Sein Verdienst war es immerhin, die Veröffentlichung der Chronik seines
Onkels über das Leben des Kolumbus in die Wege zu leiten. Dieses Verdienst
kann ihm, der als Antiheld in die Kolumbus-Historiographie einging, angesichts
der nun folgenden Ereignisse nicht hoch genug angerechnet werden.
Luís Colón wurde 1558 im spanischen Valladolid
wegen Verdachts auf Polygamie verhaftet. Er hatte zuvor in Rom die Annullierung
seiner Ehe mit Maria de Mosquera beantragt. Doch im Vatikan überstürzten
sich die Ereignisse: Zwei (Reform-)Päpste starben nach jeweils kurzer
Amtszeit und der nachfolgende Papst
Paul IV. aus dem neapolitanischen Geschlecht Caraffa ging in keiner
Weise auf Luís’ Begehren ein. Mit seiner Bücherzensur
bedrohte der einstiger Nuntius und Oberinquisitor in Spanien vielmehr das
Erbe des Kolumbus-Enkels. Die Gegenreformation forderte ihre Opfer nicht
zuletzt unter den Vermögenden und potentiell Mächtigen. Seit der
päpstlichen Bulle licet ab initio (1542) waren Festnahmen auf Verdacht
hin möglich. Privatpersonen konnten aufgrund von Gerüchten oder
Denunziationen verhaftet und ohne Beweislast inhaftiert werden.
Alcazar de Colón, Santo Domingo
Luís Colón wurde wenige Monate nach seiner Verhaftung
in Valladolid 1558 in die königliche Gefängnis-Festung von Simancas
überbracht. Kerkermeister war Juan Mosquera de Molinas, ein Verwandter
seiner Noch-Ehefrau und Abt des ersten Jesuiten-Ordens. Wie aus einem internen
Bericht der Gesellschaft Jesu’ hervorgeht, erregte Luís’
Ankunft im Gefängnis grösstes Aufsehen. Es wurde protokolliert,
dass der inhaftierte Admiral einer der „zügellosesten Menschen
der Welt“ sei, dem man „grosse Ungeheuerlichkeiten“ vorwerfe.
Er habe sich der Gesellschaft Jesu gegenüber zuerst sehr abweisend
benommen und sogar die Beichte verweigert.
Schliesslich habe der jesuitische Generalkommissar Francisco
de Borja ihn in der Zelle aufgesucht und durch intensive Gespräche
bekehrt. Luís habe nun die notwendige ‚Frömmigkeit’
gezeigt und dem Generalkommissar versprochen, in Übersee ein Jesuiten-Kollegium
zu gründen und der Gesellschaft Jesu’ die Erbschaft seines
Onkels Hernando zu vermachen. Noch am selben Tag übermittelte der
Sekretär der Jesuitengemeinschaft nach Rom, der Orden befinde sich
nun im Besitze einer der berühmtesten Bibliotheken der Welt mit rund
14'000 Büchern!
In der Folge schmolz die Sammlung von Renaissance-Büchern
auf einen Bruchteil ihres ursprünglichen Umfangs: Von den auf 15'300
geschätzten Büchern Hernando Colóns sind heute in Sevilla
gerade noch 5000 vorhanden. Die „Schenkung“ des Luís
erfolgte im selben Jahr wie die Veröffentlichung des „Index
Librorum Prohibitorum“ (1559), des ersten Index verbotener Bücher
von Papst Paul
IV. Nichts spricht dagegen, dass die Jesuiten einen Teil der wertvollen
Renaissance-Bibliothek in der Folge nach Rom weiterleiteten: Die Jesuiten
waren an einer Vormachtsstellung in der Lateinamerika-Mission interessiert
und Hernando Colón hatte die meisten seiner Werke während
der Reformationszeit gekauft
Francisco de Borja, Urenkel von Papst Alexander VI. und Ferdinand von Aragon, besuchte Luís Colón in seiner Zelle und wurde später heilig gesprochen
Index Librorum Prohibitorum von Papst Paul IV.
Nachdem Luís der Gesellschaft Jesu’ das Erbe
seines Onkels Hernando vermacht hatte, erfüllte sich seine Hoffnung
auf Freilassung nicht. Er wurde in eine Zelle nach Sevilla verlegt. Luís
bemühte sich nun, das letzte ihm verbliebene Pfand seines grossen Erbes,
das noch unveröffentlichte Manuskript seines Onkels Hernando Colón,
weiterzureichen. Im Jahr 1560 reisten drei Männer aus Italien an, denen
Luís das Manuskript zusammen mit 2600 Dukaten anvertraute: Baliano
di Fornari, ein Genueser Adliger, Próspero Publicola, der spätere
Kardinal von Santa Cruz, und der spanische Autor, Verleger und Übersetzer
Alfonso Ulloa. Die drei reisten von Sevilla nach Venedig weiter, wo Alfonso
Ulloa das Manuskript ins Italienische übersetzte (geplant waren auch
Publikationen in spanischer und lateinischer Sprache). Doch 1568 geriet
der Übersetzer Ulloa in Gefangenschaft. Er begann, verzweifelte Briefe
an den spanischen König
Philipp II. zu schreiben, betonte u. a., dass ihn seine Krankheiten
von der Arbeit abhielten und er den nächsten Winter in seiner kalten
Zelle in Venedig nicht mehr überleben werde. Doch Philipp II. hatte
keinen Grund, sich für einen Untertanen einzusetzen: Ihm haftete der
Makel der pro-französischen Spionage an (Ulloa war dafür bereits
einmal zum Tode verurteilt worden). Ulloa vollendete die Übersetzung,
starb aber kurz danach 1570 im Gefängnis. Das Original-Manuskript in
spanischer Sprache ist seither verschwunden. Dies ist bedauerlich und es
ist erstaunlich, dass noch nie danach gesucht wurde.
Aus einer zufällig gefundenen Korrespondenz (1570) zwischen dem Herzog
von Alba Fernando
Álvarez de Toledo und Peter Ernst von Mansfelt geht Interessantes
hervor, nämlich dass Alfonso Ulloa im Gefängnis von Venedig zeitgleich
an einem kritischen Kommentar über die spanische Besetzung der Niederlande
gearbeitet hatte. Der Herzog von Alba schrieb, er werde Ulloa in seiner
venezianischen Zelle verhören lassen und alle seine Bücher (todos
libros) beschlagnahmen (vgl. die Korrespondenz des Herzogs von Alba mit
Peter Ernst von Mansfield, Morel-Fatio 1913). Noch im selben Jahr 1570 starb
Ulloa in seiner Zelle. In Zusammenhang mit der Drucklegung eines kleinen
Buches (librillo) verweist der Herzog nun auf den oben genannten Kardinal
von Santa Cruz (Próspero Publicola) und betont, dass sich Alfonso
Ulloa als Sekretär in dessen Diensten befinde. 1571 wurde Hernandos
„wahrer Bericht“ in Kleinformat (librillo) ediert – wenige
Wochen, bevor Venedig sich der heiligen Liga Philipps II. anschloss und
seine Unabhängigkeit verlor. Über den Kardinal ist nicht viel
bekannt – ausser, dass er Nuntius am österreichischen und am
französischen Hof gewesen war, bevor er unter dem Konzilspapst Pius
IV (1559—65) eine steile Karriere machte. Falls es dem Herzog von
Alba nicht gelungen war, das Manuskript rechtzeitig zu beschlagnahmen und
es in die Hände des Kardinals gelangte, so könnte es sich heute
folglich in Rom befinden.
Die Chronik Hernandos wurde 1571 schliesslich als „Historie“
bei Franceschi Sanese (Venedig) gedruckt. Die Einleitung schrieb ein gewisser
Guiseppe Moleto (1531—1588), ein süditalienischer Astronom und
Hauslehrer des Fürsten Guglielmo Gonzagas III. von Mantua (1538—1587).
Mantua pflegte damals Beziehungen zur Genueser Adelsfamilie Fieschi und
zum Herzogtum Montferrat; letzteres war von Margherita Paläologa (1510—1566)
einst in ihre Ehe mit dem Fürsten von Mantua eingebracht worden. Ihrem
Wappen zufolge war sie eine verarmte Nachkommin der Könige von Jerusalem
(Re de Gerusaleme) als auch der Imperatori d’ Oriente, der griechischen
Dynastie der Paläologen.
Aus dem Montferrat stammte übrigens auch ein gewisser Baldassare Colombo,
der 1572 nach Spanien reiste, um einen Prozess um die Erbfolge des Kolumbus
zu initiieren (er gab an, mit dem Entdecker verwandt zu sein). Guglielmo
Gonzaga III. von Mantua unterstützte ihn in dieser Mission nachweislich.
Frontspitz und Einleitung von Hernando Colóns Chronik, Venedig 1571 (Faksimile 1992)
Christoph Kolumbus’ Werdgang ist rätselhaft: Wie
war es möglich, dass ein unbekannter Seefahrer ausländischer Herkunft
sich von den spanischen Königen den Vizekönigs-, den Admirals-
und Gouverneurstitel ausbedingen konnte? Kolumbus schrieb sich prophetische
Fähigkeiten zu und beliebte, seine Entdeckung als Werk der göttlicher
Vorhersehung zu präsentieren. Die rasche Übersetzung seines euphorisch-propagandistischen
Berichts der ersten Entdeckungsreise ins Lateinische (Rom 1493), Italienische
und Deutsche (Basel 1494) erweckte internationale Aufmerksamkeit.
Kolumbus musste, wollte er das Überleben seiner Familie in Spanien
sichern, auch vieles verschweigen. Er hatte gute Gründe, sich zurückzuhalten,
wenn es darum ging, seine Vergangenheit zu erhellen. Seit dem Vorwurf des
Hochverrats und seiner Entmachtung (1500) schwieg er sich über sein
früheres Engagement gegen Aragon aus. Nach seinem Tod wurde es noch
schwieriger, seinen ursprünglichen Werdegang zu erhellen. Zwar konnte
Hernandos Chronik als kleinformatige Übersetzung gedruckt werden (1571)
und darin sind durchaus Aussagen enthalten, die auf Kolumbus direkt zurückgehen.
Doch der Kolumbussohn hatte sich mit der spanischen und italienischen Geschichtsschreibung
angelegt; und zudem erhielt er Unterstützung von der „falschen“
Seite: vom „Nestbeschmutzer“ Bartolomé de Las Casas.
Aus der Chronik Hernando Colóns lassen sich einige interessante Details
herauslesen: Christoph Kolumbus, seine Brüder und seine Vorfahren gehörten
einst zu den Gefolgsleuten der mittelalterlichen Dynastie der Anjous; sie
dürften deshalb in der Wissenstradition dieses Hauses gestanden haben.
Dieses Fürstengeschlecht hatte Europa in kultureller und politischer
Hinsicht Jahrhunderte lang geprägt.
Die Anjous starben beim Versuch, Aragon militärisch die Stirn zu bieten,
aus und die Provence und Süditalien fielen an Frankreich. Kolumbus
wechselte in französische Dienste und gelangte dadurch nach Portugal,
wo er seiner zukünftigen Frau Felipa Perstrello Moniza begegnete. Diese
Adlige altem französischem und italienischem Kreuzrittergeschlecht
stammte aus dem Umfeld Heinrichs des Seefahrers und verhalf ihm zu dem damaligen
(Geheim-)Wissen bezüglich des Atlantiks. Nach einem Regierungswechsel
musste Kolumbus Portugal schnell verlassen; er floh mit seinem Sohn Diego
nach Andalusien, wo er sich den katholischen Königen in der Reconquista
andiente. Nach der Einnahme Granadas 1492 erhielt er den Zuschlag für
seine legendäre Atlantiküberqerung.
Nach dem Tod Isabellas
von Kastilien (1504) sah sich Kolumbus gezwungen, sich seinem einstigen
Gegner Ferdinand von Aragon unterzuordnen. Das Misstrauen indes blieb bestehen,
sowohl bei Ferdinand
von Aragon als auch bei Christoph Kolumbus. Im Gegensatz zum pragmatischen
König betätigte sich der Genueser Seefahrer auf religiös-ideologischer
Ebene und er blieb dabei keineswegs erfolglos: Die euphorische Beschreibung
der leicht zu bekehrenden Indios bei gleichzeitigem Misstrauen gegenüber
seinen spanischen Untertanen verfehlte ihre Wirkung bei den Zeitgenossen
nicht. Die Brutalität der Spanier, von Bartolomé
de Las Casas, dem Advokaten der Indios, eindrücklich an den Pranger
gestellt, lieferte im 16. und 17. Jahrhundert England und den Niederlanden
die (moralische) Rechtfertigung für eine Einmischung in Übersee.
Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich der Bogen von der ausgestorbenen
Anjou-Dynastie zu den aufstrebenden Seenationen der Neuzeit spannen: Das
Machtvakuum, das die Erben Kolumbus’ wegen der langen Gefangenschaft
des Luís Colóns hinterliessen, wurde von den Feinden Habsburgs
genutzt. 1586 besetzte Francis Drake die Stadt Santo Domingo und im 17.
Jahrhundert liess sich der englische Freibeuter Henry Morgan auf der Markgrafschft
Jamaika nieder, einem Besitztum der Familie Colón. Von hier aus überfiel
er regelmässig die aus Südamerika zurückkehrende, spanische
Silberflotte.
Die Vorstellung vom paradiesischen Urzustand, in denen die Indios als „edle
Wilde“ Protagonisten waren, geht auf die von Las Casas redigierte
Bordbuchaufzeichnung des Kolumbus zurück. Sie diente den theologischen,
philosophischen und juristischen Diskursen der Aufklärung. Das „Verdienst“
des Kolumbus liegt denn auch hauptsächlich in der Schaffung neuer Projektionsflächen
für Utopien, die in späteren Jahrhunderten zum Ventil für
unhaltbare Zustände in Europa wurden und die die Phantasie auswanderungswilliger
Europäer beflügelten.
Wenn heute erneut auf die Bilder des Las Casas zurückgegriffen wird
(und es wird), so sollte dies im Bewusstsein einer historisch gewachsenen
Rezeption geschehen, deren Ursprung nicht zuletzt auf den von mittelalterlichen
Vorstellungen beflügelten Kolumbus zurückgeht. Die Schwarz-Weiss-Malerei
des Mönches spiegelt ein Europa des ausgehenden Mittelalters und der
frühen Neuzeit, das nicht zuletzt in religiösen Fragen zutiefst
gespalten gewesen war. Die ursprüngliche Absicht des Las Casas, das
Leid der Indios mit neuen radikalen Gesetzen und drastischen Massnahmen
zu beseitigen, um sie zu wahren Christen zu machen, ging alsbald vergessen
und verkam zu einem willkommenen Propagandainstrument gegen das habsburgische
Weltreich. Die radikalen Aussagen von heute haben somit wenig zu tun mit
den radikalen Aussagen von früher.