Als der französische König Louis XI.
von der Zerstörung seiner Flotte am Kap von San Vicente bei Sagres
hörte, soll er gemäss Augenzeugen wutentbrannt gepoltert haben,
dass dies alles gegen seinen Willen geschehen sei (Salvagnini 1894, S. 208).
Im Sommer 1476 hätte er eine intakte Flotte
im Mittelmeer sehr wohl gebrauchen können – nicht zuletzt für
die Verteidigung der Insel Zypern, der wichtigsten christlichen Bastion
im östlichen Mittelmeer. Fast 300 Jahre lang hatte das französische
Adelsgeschlecht Lusignan mit Hilfe der Genuesen auf Zypern regiert. 1475
starb der uneheliche Jacques II. Lusignan eines plötzlichen Todes,
nachdem er sich gewaltsam gegen seine erbberechtigte Halbschwester Charlotta
durchgesetzt und die Venezianerin Caterina Cornaro geheiratet hatte. Als
letztere sich nun mit Hilfe der Venezianer auf der Insel durchsetzen wollte,
kam es zu mehreren Aufständen.
Noch im Sommer 1476 war es der Venezianerin Catarina
Cornaro, der Witwe Lusignans, nicht gelungen, die Nachfolge zu regeln.
So wollte ein unehelicher Sohn des Königs Ferrante von Neapel eine
Tochter des verstorbenen Regenten heiraten und Zypern mit Hilfe der Genuesen
und des Sultans (Soldano) einnehmen. Christoph Kolumbus’ Heimatstadt
Genua war eine zu tiefst gespaltene Stadt: Die Bewohner kämpften ihrer
politischen Ausrichtung zufolge entweder für die Sache Frankreichs
oder Aragons.
Wie einem Geheimbericht zweier mailändischer Agenten
namens Arcimboldus und Trivultius zu entnehmen ist, kreuzte im Sommer 1476
ein genuesisches Schiff mit dem Namen Palavissima vor Zypern auf. Dieses
Schiff hatte zuvor vom Festland 500 türkische Soldaten und Kaufleute
an Bord geladen. Wie der Name besagt, gehörte die Nave Pallavissima
der Genueser Familie Pallavicini bzw. Paravicini und diese stammten wie
die Colombos aus dem Lehensbezirk der Fieschis. Im September 1476 –
drei Monate vor der Ermordung des Herzogs von Mailand an Weihnachten –
gelang es den Paravicinis, in Genua die Macht zu ergreifen. Antonio Gallo
schweigt sich über dieses Ereignis in seiner Chronik seltsamerweise
aus (Gallo 1911, S. 34).
Catarina Cornaro, Gentile Bellini, Budapest, Museum
der Schönen Künste
Mehmet II Sarai Album Istambul. 15. Jh.
Das Auftauchen der Nave Palavissima vor Zypern
provozierte im August 1476 zwei lange Seeschlachten mit der venezianischen
Flotte. Die Genuesen unterlagen mit 120 Opfern. Der venezianische Flottenführer
sagte gegenüber den mailändischer Agenten aus, die Genuesen hätten
ihm den Warenzoll verweigert und dies mit der Begründung, dass der
Flottenkommandant Colombo, dem sie zuvor begegnet seien, von ihnen keinen
solchen Tribut abverlangt habe. Welcher Colombo – er sei mit Schiffen
und Galeeren (con nave et galee) unterwegs gewesen – war hier gemeint?
Der Gascogner Columbus Archipyrata und Columbus der Jüngere waren es
mit Sicherheit nicht, denn diese befanden sich zum damaligen Zeitpunkt nachweislich
im Ärmelkanal. Am ehesten handelte es sich um denselben Collumbus,
der sich bereits 1473 bei Almeria aufhielt und dort venezianischen Schiffen
auflauerte (und der wegen seiner Verbindung zu Tunis wahrscheinlich mit
Kolumbus identisch war).
Die heterogene Zusammensetzung der Flotte lässt
auf einen Zusammenschluss der Karavellen René von Anjous mit der
reduzierten französischen Mittelmeerflotte des Admirals Jean de Villages
(eines Neffen von Jacques Coeur) schliessen. Es ist anzunehmen, dass diese
Schiffe sich im Sommer 1476 aufmachten, die französische Atlantikflotte
bei ihrer Einfahrt ins Mittelmeer am Kap von San Vicente zu unterstützen.
Zypern, S. Münster Cosmographei, Basel 1550
Nach der für beide Seiten verlustreichen Seeschlacht vom Kap von San Vicente im August 1476 versammelten sich die Franzosen im Hafen von Lagos an der Algarve; hier wurden die beschädigten Schiffe ausgebessert und manche Seeleute mussten ausgemustert werden. Der Vizeadmiral des Atlantiks, Columbus Archipyrata, nahm danach Kurs zurück nach Lissabon. Da Kolumbus’ Schiff abgebrannt war, reiste auch er in die portugiesische Hauptstadt. Von nun an löste sich das einstige Schreckensbild der französischen Korsaren Columbus auf. Gemäss einem Bericht befand sich Columbus mit seiner Atlantikflotte (armata biscaina) im Dezember 1476 in Lissabon, wo seine Schiffe abgetakelt in der Tajomündung ruhten (Salvagnini 1894, S. 209). Columbus verfüge nicht mehr über die Macht, die er einst besessen habe: Er habe mit neun Karavellen erneut am Kap von San Vicente gelagert, doch gegen eine 40 Schiffe starke, venezianischen Flotte nichts ausrichten können. An Weihnachten 1476 wurde der (abtrünnige) Herzog von Mailand ermordet, und Genua geriet wieder unter französischen Einfluss. Ein in Lissabon stationierter Agent schrieb an den Sekretär der verwitweten Herzogin von Mailand, Bona von Savoyen, dass die genuesischen Kaufleute Spinola und Di Negro in Lissabon einem Colombo begegnet seien, von dem man sich einig sei, dass er aus Savona stamme (... e dacordò e dicto Saonese). Dieser habe sich mit ihnen anfreunden wollen, weil sie unterdessen ja Freundesfreunde (amigo de lo amigo) geworden seien. Dass der spätere Entdecker Amerikas nach der unheilvollen Konfrontation mit seinen Genueser Landsleuten Kontakt aufnahm, ist nicht ausgeschlossen. Kolumbus gedachte den Nachkommen der am Kap von San Vicente geschädigten Kaufleute Spinola und Di Negro in seinem Testament des Jahres 1501.
Lissabon 1596, Sevilla, Archivo General de Indias
Der Paläologe Columbus der Jüngere
vollendete nach der Seeschlacht vom Kap von San Vicente den ursprünglichen
Auftrag und eskortierte die Flotte des besiegten portugiesischen Königs
Alfons
V. nach Frankreich, in die südfranzösische Hafenstadt Collioure
im Golf von Narbonne (Harrisse 1874, S. 18, Anm. 2). Die Festung von Collioure,
einst Tempelritterhafen und Sommerresidenz der Könige von Mallorca,
gehörte erst seit wenigen Monaten zu Frankreich und befand sich nahe
der Front zu Aragon. Zwischen dem portugiesischen König Alfons V. mit
dem Beinamen der Afrikaner und seinem Begleiter Columbus dem Jüngeren
entstand eine tiefe Freundschaft. Alfons V. forderte den französischen
König auf, dem Paläologen besondere Privilegien und Titel zukommen
zu lassen. Doch Louis XI. befahl den beiden, sich unverzüglich in den
Ärmelkanal zu begeben: Am 14. Juli 1477 erliess er in der Hafenstadt
Honfleur den Befehl, auf Kosten der Städte und Klöster der Normandie
eine neue Flotte auszurüsten (Roncière 1914, S. 375).
Die fortlaufenden Fronteinsätze widerstrebten dem portugiesischen
König: Als die Schiffe am 23. September zum Auslaufen bereit waren,
war er plötzlich nicht mehr auffindbar. Nach intensiver Suche griffen
ihn seine rund 300 portugiesischen Gefolgsleute, die beinahe zu Untertanen
des französischen Königs geworden waren, in einer Herberge in
der Nähe von Honfleur auf (Roncière 1914, S. 375). Alfons hatte
mit der Begründung demissioniert, eine Pilgerreise zum Franziskanerkloster
des Berges Sion in Palästina unternehmen zu müssen (Milhou 1983,
S. 343).
Auch Colombo der Jüngere fiel Ende der siebziger
Jahre durch keine spektakulären Einsätze mehr auf. Er beschränkte
sich seinerseits darauf, von Honfleur aus die Transportwege für den
Nachschub der französischen Truppen freizuhalten.
französische Schiffe beim Aufladen von Soldaten,
Miniatur um 1488, B. N., Paris
1478 taucht in den secreti ein „Columbo capitano et corsaro de gallee“ im Mittelmeer auf, und zwar im Golf von Ligurien. Seine Mission war es, Bona von Savoyen, die Witwe des ermordeten Herzogs von Mailand, nach Frankreich in Sicherheit zu bringen. Sie war die Schwester von Louis XI.’ Ehefrau Charlotte von Savoyen und hatte im Frühling 1477 vergeblich versucht, die Hafenstadt Genua mit 12’ 000 Mann unter französische Kontrolle zu bringen – die Stadt befand sich bereits unter aragonesischem Einfluss. Als in Genua im August 1478 der Bürgerkrieg ausbrach, gelang es dem Columbo capitano gerade noch rechtzeitig, die Witwe Galeazzo Maria Sforzas in die Provence zu evakuieren (Harrisse 1874, S. 22 und S. 98).
Drei Monate später kreuzte er noch ein weiteres Mal in den Küstengewässern Genuas auf, diesmal mit dem Auftrag, die neuen genuesischen Machthaber einzuschüchtern; diese hatten mit Hilfe Aragons, Neapels und des Papstes die Oberhand in Genua gewonnen (Salvagnini 1894, S. 167). Die Frage, ob es sich bei diesem Columbo capitano et corsaro um Christoph Kolumbus (oder seinen Bruder) gehandelt hatte, lässt sich heute nicht mehr beantworten. Denn gemäss der Überlieferung weilten die Gebrüder Colombo seit 1476 in Portugal. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass sie während des neunjährigen Friedens in den Rosenkriegen (Aufenthaltszeit des Kolumbus in Portugal) immer noch in französischen Diensten standen und für den einen oder anderen Einsatz beigezogen wurden.