Das Geburtsjahr des Kolumbus ist äusserst
widersprüchlich. Die Quellen lassen eine Spannweite von über einem
Jahrzehnt zu. Der Chronist Andrés Bernáldez kannte Kolumbus
noch persönlich und schrieb in seiner Chronik, dass der Entdecker in
gutem Greisenalter (senectute bona) von mehr oder weniger siebzig Jahren
(setenta años) gestorben sei – dies ergäbe ein Geburtsjahr
von plus minus 1436. Im 19. Jahrhundert kombinierten die Historiker einen Brief
des Kolumbus aus dem Jahre 1501 mit einer Aussage von dessen Sohn Hernando
Colón – je nach Auslegung der Umstände ergäben sich
daraus die Jahre 1442 bis 1447. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
wurde davon die obere Grenze gewählt, die Jahre 1446/47. Die fortlaufende
Verjüngung ermöglichte es, dass dem damals als pikant empfundenen
Vorleben des Entdeckers kaum noch Bedeutung zukam.
Seit dem Fund des sogenannten Assereto-Dokuments 1904 spricht man gar vom
Geburtsjahr 1451. Allerdings ist es schwierig, die 14-seitige Handschrift
im Original einzusehen, um sie auf ihre Echtheit zu prüfen (sie fällt
durch ein eingeklebtes Blatt, unterschiedliche Schriften und einen ungenauen
Inhalt auf).
Seite 5 des Assereto-Dokuments, Staatsarchiv
Genua (ehemals: Sala Colombina), in Ch.Columbus
Christoph Kolumbus stammte nachweislich aus der Republik Genua. Er selbst weist in seinem Testament 1498 darauf hin, dass er in der noblen und mächtigen Seestadt Genua (ciudad noble y poderoso por la mar) geboren worden sei. In einem Protokoll der spanischen Krone aus dem Jahre 1491 steht, dass die Reyes Católicos Isabella und Ferdinand mit einem aus Savona stammenden Genuesen namens Christoph Kolumbus verhandelt hätten. Bekannt ist auch, dass der Entdecker Amerikas später den Kontakt zu seiner Heimatstadt Genua suchte und gegen Lebensende Vorkehrungen traf, damit ein Familienzweig dorthin zurückkehre. Doch in Genua war die Familie zu Beginn des 16. Jahrhunderts offensichtlich unerwünscht.
Stadt Genua, „Liber Chronicarum“ von H. Schedel,
Nürnberg 1493
Antonio Gallo, einer der reichsten Männer
der Stadt Genua, war Kanzler, Chronist und Vorsteher des berühmten
Finanzinstituts banco di San Giorgio (Bank des heiligen Georgs). Nach
Kolumbus’ Tod 1506 verfasste er einen kleinen Kommentar (Commentariolum),
in welchem er einerseits den Aufstieg seines Landsmannes Cristoforo Colombo
zu Ruhm und Ehre lobt, sich andererseits abschätzig über die
niedere soziale Herkunft (plebejis parentibus) und die fehlende Ausbildung
(parvis literulis) der Gebrüder Colombo äussert. Der Kommentar
diente der stadtinternen Wegleitung und blieb bis ins 18. Jahrhundert
unveröffentlicht (vgl. die Edition von L. A. Muratori). In seiner
mehrsprachigen Bibelausgabe des Jahres 1516 (Bibbia Poliglotta) hatte
sich allerdings bereits der Genueser Bischof Agostino Giustiniani an diesem
Kommentar orientiert (siehe Abbildung). Hernando Colón, der nichts
über die stadtinterne Vorlage wusste, empörte sich in seiner
Chronik über die vielen „Lügen“, die Giustiniani
über seinen Vater verbreite und versuchte, ein Druckverbot zu erwirken
(siehe: Hernando Colón,
Schlusswort).
Banco di San Giorgio
Dies ist nicht der einzige Hinweis darauf, dass
Kolumbus und seine Familie in Genua nicht allzu willkommen waren. Im Jahre
1502 adressierte Christoph Kolumbus einen Brief an den banco di San Giorgio,
worin er seine Liebe zur Heimatstadt bekundete und der Genueser Bevölkerung
eine Reduktion der Lebensmittelzölle versprach. Doch dieser Vorschlag
stiess beim zuständigen Bankvorsteher – es handelte sich um den
oben erwähnten Antonio Gallo – auf wenig Begeisterung. Gallo
antwortete nicht und Kolumbus ärgerte sich nach seiner Rückkehr
von der vierten Reise über das „unfreundliche“ Benehmen
der Verantwortlichen.
Glosse über Kolumbus in Giustinianis “Bibbia Poliglotta”,Psalm David, 19
Diese abwartende Haltung sowie die Geringschätzung der Colombos als Plebejer durch den Genueser Kanzler hatte mit grosser Wahrscheinlichkeit politische Gründe. Die Colombos hatten bis zu einem Umsturz in Genua im Jahre 1461 zur privilegierten Schicht der Stadt gehört; danach aber mussten sie die Stadt fluchtartig verlassen und es sollte ihnen nie mehr gelingen, in ihr jemals wieder Fuss zu fassen.
Entgegen Gallos Darstellung (bescheidene Bildung,
niedere Herkunft) schreibt Hernando Colón, dass die Familie Colombo
aus altem, aber verarmtem Adelsgeschlecht stamme und dass sein Vater seine
sprachlichen und mathematischen Grundlagen in der Universitätsstadt
Pavia erworben habe. Tatsächlich war Christoph Kolumbus im Vergleich
zu seinen Zeitgenossen aussergewöhnlich belesen und er kannte sich
in Mathematik und Geometrie gut aus.
„Planisphäre“ von Kolumbus, im Buch „Historia rerum“ von Picolomini. Biblioteca Colombina, Sevilla
Hernando Colón hatte sich persönlich in die Republik Genua begeben, um nach Vorfahren und Verwandten zu suchen. Doch er schreibt, dass er weder in Genua noch in den angrenzenden Ortschaften fündig geworden sei. Die Herkunft seiner Familie müsse wohl wie manches andere im Leben seines Vaters als ein Rätsel (misterio) bezeichnet werden.
Randbemerkungen von Kolumbus in Marco Polos Reisebericht,
Biblioteca Colombina, Sevilla
Kolumbus hatte einen grossen Teil seiner Kindheit ausserhalb des Genueser Stadttores des heiligen Andreas (extra portam Sanct’ Andreae) verbracht. Dort besass sein Vater Domenico Colombo ein Anwesen mit Haus, Laden, Brunnen und Garten. Im frühen 14. Jahrhundert waren am selben Ort zum ersten Mal zwei Colombos registriert worden (Desimoni 1894), und es stellt sich die Frage, woher diese gekommen sein mögen. Betrachtet man die ältesten Familien mit dem Wortstamm Colomb, so finden sich diese in der an Genua angrenzenden Grafschaft Savoyen. Könnte die Familie des Entdeckers, die den Beinamen „vom Roten Land“ (de terra Rubra) trug, ursprünglich aus Savoyen stammen? Auszuschliessen ist dies nicht, denn wenige Jahre vor dem Auftauchen der ersten Colombos beim Stadttor des heiligen Andreas (1311 und 1329), wo Kolumbus seine Kindheit verbrachte, war eines dieser alten Geschlechter in Savoyen „erloschen“.
Ausschnitt Karte Mitteleuropa im 15. Jh. (1477) Putzger 1931
Es handelt sich um die Familie Collombey, die bis 1304 die
Wegrechte entlang der Alpenstrasse nach Italien besass. Die Vornamen der
letzten Vertreter dieses Geschlechts stimmen mit den Registrierten vor den
Toren Genuas überein.
Siegelwappen Collombey mit
Adler, Armorial vaudois 1934–
Die Collombeys aus dem Wallis hatten ein Siegelwappen, das nicht wie üblich aus einer Taube, sondern aus einem Adler bestand. Es gleicht dem Emblem eines römischen Unteroffiziers (aquilifer) und erinnert an Hernando Colóns Aussage, dass der Stammvater der Familie Colombo einst in römischer Zeit mit Adler-Würden ausgezeichnet worden sei. Dieses Geschlecht kontrollierte die Wegstrecke von der Rhonemündung am Genfersee bis nach Saint Maurice. Ein erster Vertreter ist 1131 erwähnt, als Henry I. von Troyes, seines Zeichens Graf von der Champagne, das Wallis kolonisierte. 1304 verkauften die Adligen von Collombey ihre Wegrechte an den Grafen von Savoyen; die Savoyer führten ab 1416 den Herzogstitel und stiegen später zur Königsdynastie Italiens auf. Die Veräusserung des lukrativen Wegerechts fand drei Jahre vor den Verhaftungen und Hinrichtungen der Tempelritter statt und es stellt sich die Frage, ob der Verkauf nicht unter Druck erfolgte. Der Nord-Süd-Handel war lukrativ, dies nicht zuletzt im Woll-Fernhandel, in welchem auch Kolumbus’ Vater Domenico in Genua tätig war.
Chronique de France, Über die
Verurteilung der Templer 1493
Las Casas schrieb, dass Kolumbus einem ihm unbekannten Orden angehört habe und Hernando Colón weist in diesem Zusammenhang auf eine Abstammung vom heiligen Blut Jerusalems hin (del regal sangue di Gierusalme). Hatte der Entdecker Amerikas dem damals längst verbotenen Templerorden angehört? Kolumbus hatte in Portugal tatsächlich in den engeren Zirkel des portugiesischen Christusordens eingeheiratet, der offiziellen Nachfolgeorganisation des 1307 aufgelösten und seither verfolgten Templerordens; Kolumbus’ Schwiegervater, Bartholomeu Perestrello, war ein Ritter (cavalleiro) aus dem Hause Heinrichs des Seefahrers (1394–1406) gewesen, des legendären Grossmeisters dieses Ordens. Christoph Kolumbus unterzeichnete all seine Briefe mit einem pyramidenförmigen Kryptogramm: .S. .S. A. S. (siehe Abbildung).
Heinrich der Seefahrer, aus Nuno Gonçalves „Verehrung des
heiligen Vinzenz“, Museu Nacional Arte Antigua, Lissabon
Gemäss dem Römer Valerius Probus entsprachen Abkürzungen wie .S. A. S. einer Grussformel an eine Ortschaft oder an ein Heiligtum wie zum Beispiel: Salve Aquileium Sacrum (Probus, ed. 1494). Die oben genannte Ortschaft Saint Maurice heisst lateinisch Acaunum bzw. Agaunum und war im Mittelalter eine weit herum bekannte Märtyrerstätte (der Legende zufolge starb der heilige Mauritius mit seiner christlich-ägyptischen Legion bei Agaunum, im Grenzgebiet zwischen Gallia und Italia, um 302 n. Chr. den Märtyrertod. Könnte das Kryptogramm des Entdeckers ein Kürzel für Salve Agaunum Sacrum sein? Wir können es nicht wissen, doch im Vergleich zu anderen, weithergeholten Auslegungen von Kolumbus’ Unterschrift erscheint dies plausibel: Die Anjou-Dynastie gründete 1434 in Ripaille am Genfersee zu Ehren des Märtyrers den Ritterorden des heiligen Mauritius, und die Colombos zu Genua zählten lange Zeit zur zudienenden Schicht eben dieser Dynastie (siehe Teil 3).
Kolumbus’ Unterschrift in der „Geografie“ von Ptolomeus
mit Psalm 93:4 „mirabilis elationes maris, mirabilis in
altis Dominus“
Abbild des aus Ägypten
stammenden heiligen
Mauritius, im Magdeburger Dom